Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn ich mehrere Tage unterwegs war, weg vom alltäglichen Geschäft und dann nach Hause komme, sitze ich manchmal am Schreibtisch und denke: Oh Mann! Mit was fängst Du an? Was muss jetzt gemacht werden, und was hat Zeit.

Und untergründig ist das Gefühl da: „Ich bin überfordert.“

Und dabei muss ich mich nicht um Partnerschaft, eigene Kinder oder eigenes Haus kümmern. Die Grundlagen zum Leben stimmen ja. Ich gehöre wie die meisten Ordensleute in unserem Land zu den privilegierten.

Aber ich bekomme eine Ahnung, wie es wohl Menschen geht, die wirklich mit ihrem Leben überfordert sind.

  • Schwierige Amtsgänge
  • verschiedene Jobs, um über die Runden zu kommen
  • Ansprüchen entsprechen müssen
  • Ansprüchen im Beruf, im Bekannten- und Freundeskreis
  • Reagieren auf die letzte Whats-App
  • Erwartungen, ererbt von Zuhause
  • übernommen von einem selbst

Und es gibt die Dinge in jedes Menschen Leben, die überfordern:

  • Angst um die eigene Existenz
  • Existenzangst jenseits des Guthabens auf dem Konto
  • Unsicherheit
  • Zu viel Fremdes – zu viel Fremde?
  • Angst um die eigene Identität.

 

Und da sind die uns nahen Menschen, hier auf dem Campus des Hospitals und des Mutterhauses. Menschen, starr vor Angst um das eigene Leben, die Gesundheit, und die Angst haben vor jedem Schritt aus dem Kranken- oder Pflegebett.

 

Und in diesen eh schon bedrückenden Raum der Unsicherheit werden noch weiter Ängste geflüstert:

  • „Pass auf, die anderen nehmen dir etwas weg!“.
  • „Du wartest auf einen Termin beim Arzt? Das hat nichts mit Gesundheitspolitik zu tun, sondern mit Migranten.“
  • „Du musst aufrüsten – innerlich und äußerlich. Wehr dich!“
  • „Du hast Angst, dich selbst zu verlieren? Mit Recht, denn die anderen wollen dir dein Selbst nehmen. Sichere es bei uns!“
  • „Du suchst in all dem Unsicheren Sicherheit. – Klar, die haben wir für dich!“

 

Liebe Schwestern und Brüder,

das Bemühen, Unsicherheit abzuschaffen hat die Menschheit immer wieder in Katastrophen geführt: Krieg, Diktaturen, Unfreiheit, Verzweiflung.

Wer größtmögliche Absicherung verspricht, macht das auf Kosten der Ungesicherten, um selbst etwas sicherer zu leben. Und wir kennen den Ausgang: Verzweiflung, innere Armut, die allen Glanz verliert, Untergang.

Alles Wachstum als Gewinnsicherung und -optimierung verkommt zum Stillstand. Und dann ruht die Erde, die Schöpfung als unendliche Last auf den Schultern der Verlierer, der Armen, der am Rand stehenden. Und zum wiederholten Mal bürden wir jetzt den Jungen die Folgen der Angst der Alten auf. Angst vor Veränderung, vor einem Cat, das Unheilvolle unterbrechen kann.

 

Und in dieser Situation gibt es keinen Plan. Es gibt keine Lösungsanleitung. Es gibt weder in der Heiligen Schrift noch in den Regeln des heiligen Franziskus einen Plan B, in den man reinschauen könnte, wenn unser Plan A nicht mehr funktioniert.

 

Es ist viel einfacher:

Je mehr wir auf Katastrophen zurasen, um so deutlicher wird ein Ausweg, eine Tür, die für uns bereits offensteht: Auf dieser Tür steht nicht „Plan“, sondern „Haltung“.

Franz und Klara haben sich entschieden nicht gegen die Unsicherheit zu leben und etwas zu tun, sondern die Unsicherheit anzunehmen, sie zu verstehen als freundliche Gefährtin.

Sie gingen mit Unsicherheit so um, dass sie ungesichert lebten.

Franziskus gab es auf, gegen das Verlieren, alles Mögliche zu sammeln, sondern das Gesammelte zu verlieren.

Selbst die Ansprüche an ein für ihn bereitetes Leben gab Franziskus auf, um sich ohne Ansprüche dem Leben anzuvertrauen.

Verrückt und waghalsig begab er sich in eine Haltung, die ganz aktuell über die Existenz der Schöpfung und der Menschheit heute entscheidet.

Weniger ist nicht mehr, sondern alles.

Dem Leben vertrauen und den Menschen auf der Welt mag das Leben nicht unbedingt verlängern, aber es gibt ihm unendlichen Sinn.

 

Und das alles war keine Vision von Franz und seinen Gefährten und Gefährtinnen, sondern war erprobt durch ihn selbst, seinem Leben, dem, was er hinterließ.

Und dieses Leben, diese Haltung ist erprobt an so vielen Männern und Frauen, die versuchten, in dieser Haltung zu leben. Sie ist erprobt an ihnen liebe Franziskanerinnen. Sie ist erprobt an so vielen Menschen, die in der Spur des Franziskus die eigenen Wege gingen.

Seine Vision will sich erproben an uns, an unserer Haltung, wenn wir gleich wieder unserer Wege gehen und die Welt und unser Leben vielleicht in einem etwas anderen Licht sehen.

 

Das wäre eigentlich ein Schlusssatz für eine Predigt.

Aber es würde etwas fehlen:

Als Jesus dem reichen jungen Mann begegnet, fragt dieser Jesus, was er noch machen könne, um das Leben in Fülle zu haben. Und Jesus rät ihm in Armut zu leben. Und weil der junge Mann so reich war, ging er weg. Er und Jesus gingen traurig auseinander.

Das Wagnis und die Verrücktheit des Franziskus hatten einen Grund: Franz und Jesus gingen nicht auseinander. Sie konnten beieinanderbleiben, weil nichts mehr zwischen ihnen war.

Nichts soll uns trennen können, nichts zwischen uns sein müssen – das ist die Sehnsucht Jesu, ein Geheimnis, dass im Herzen einer jeden und eines jeden von uns lebt.

 

Pater Michael Baumbach MSF