Predigt aus der Osternacht 2024 in der Mutterhauskirche von Pater Willi v. Rüden

Die Werbung weiß wie man Menschen fängt, und setzt das geschickt ein: Mit optischen Reizen – man braucht einen „Hingucker“. Das menschliche Auge entdeckt Neues, das Neue macht neugierig, das will, das muss ich haben. Aber: Das menschliche Auge ist auch Medium der Glaubwürdigkeit in dem, was es sieht und wahrnimmt.

In unserer Zeit sehen wir so vieles, dass unser Auge kaum noch Wesentliches von Unwesentlichem für die Gestaltung und Qualität unseres Lebens unterscheiden können. Oft verschließen wir unsere Augen vor dem, was für unser Leben wesentlich und entscheidend ist. Und: Unsere Augen sind oft geblendet oder verdunkelt, weil wir zu einer Gesellschaft geworden sind, die bei dem Unbequemen, der Ungerechtigkeit, dem Leid, der Not, gerne auch mal wegsieht.

Die Augen unseres Herzen leiden an einer Sehschwäche oder haben grauen Star. Diese Schwäche kann nur im Maß der Liebe und des Glaubens gemessen und repariert werden, nicht mit Dioptrien.

Die heutige Nacht will uns aber die Augen öffnen für das, was für unser Leben wichtig, ja lebenswichtig ist. Diese Nacht wird durch Christus das Licht erhellt. Das Evangelium von der Auferstehung Jesu lenkt unseren Blick auf den zentralen Inhalt unseres Glaubens. Gleich drei Mal ist hier die Rede vom Sehen:

– Die ersten Zeuginnen der Auferstehung sahen, dass der Stein weggewälzt war.

– Die drei Frauen sahen am Grab einen jungen Mann in weißen Gewändern sitzen.

– Die drei Frauen sahen auf die Stelle, wo Jesus lag, sie sahen das leere Grab.

Die Augen sahen das leere Grab, aber der Glaube an die Auferstehung hatte ihre Herzen noch nicht erreicht. Erst die Begegnung mit dem auferstanden Jesus öffnete ihnen auch die Augen des Herzens, und sie glaubten. Jetzt war für sie Ostern, und die Botschaft verbreitete sich dann wie ein Lauffeuer.

Ostern will uns die Augen für das Leben öffnen, denn Tod, Trauer und Tränen, Leid und Verwundungen trüben unsere Augen lassen uns verzweifeln und machen uns ratlos. Doch Ostern öffnet uns die Augen. Ostern ist die erste große Revolution des Lebens. Das leere Grab ist kein optischer Reiz, es ist eine Wirklichkeit Gottes, die in seiner Liebe zu den Menschen gründet. Die Auferstehung ist auch keine fantasievolle Erfindung von Menschen, die mit ihrem Leben nicht mehr fertig wurden.

Ostern heißt: Der Mensch tritt in einen neuen Raum ein, Ostern wird zum Maßstab des christlichen Lebens.

Ostern heißt: Der Tod ist ohnmächtig, das Leben hat gesiegt.

Wer an Ostern die Augen öffnet und zum Glauben kommt, der investiert in das Leben. Im Geheimnis dieser Nacht werden uns Christen diese österlichen Augen geschenkt und haben so Durchblick für das Leben.

Österliche Menschen tragen keine Scheuklappen, sie haben einen weiten Blick und einen Horizont für das wahre Leben.

Österliche Menschen wissen: das Leben hat einen Sinn und es lohnt sich zu leben.

Österliche Menschen wissen: das Durchkreuzte ist gerade geworden und gibt neue Lebenskraft.

Österliche Menschen wissen: alle menschlichen Brüche, alles Halbfertige, alle Versäumnisse, alle Wunden, alles Sterbliche und aller Tod sind geheilt und in das Leben mit Gott hineingenommen.

Österliche Augen sind wach und strahlend und haben einen Weitblick für das eigene Leben und das Leben anderer.

Uns Christen ist diese österliche Botschaft nicht nur geschenkt, sie ist auch Auftrag zur Mission. Wir müssen sie weitersagen. Wir sagen sie weiter, auch über die Grenze der Kirche hinaus, wenn wir als österliche Menschen leben und von dieser großartigen Botschaft erzählen.

Es gilt: Die Botschaft von Ostern gehört zu haben reicht nicht. Durch die Taufe haben wir den Auftrag, wie die Frauen am Ostermorgen, die Botschaft weiterzuerzählen. Gott traut uns zu, dass wir solche Osterboten sind, denn er schenkt uns dazu seine österliche Kraft.

Der verstorbene Bischof Klaus Hemmerle hat das einmal so gesagt:

„Ich wünsche uns Osteraugen, die im Tod bis zum Leben, in der Schuld bis zur Vergebung, in der Trennung bis zur Einheit, in den Wunden bis zur Herrlichkeit, im Menschen bis zu Gott, in Gott bis zum Menschen, im ICH bis zum DU zu sehen vermögen.“

Amen