Predigt zu Heiligabend

Liebe Schwestern und Brüder,
als erste Lesung haben wir heute ein Stück aus der Vita Brevior des Thomas von Celano gehört, das aus seiner sog. ersten Lebensbeschreibung bekannte Ereignis von Greccio, wohl die erste Krippenfeier mit lebendigen Darstellern.
Diese Vita Brevior wurde erst 2015 entdeckt und bietet eine kürzere Fassung des Geschehens.
Darin wird von einem tugendhaften Mann erzählt, der eine Vision hatte. „Dieser sah“, so der Text, „ nämlich in der nämlichen Krippe ein lebloses Kind liegen, zu dem der Heilige Gottes (Franziskus) hinzutrat und es gleichsam wie aus tiefem Schlaf in kurzer Zeit aufweckte. Zu Recht erschienen Kind und Knäblein dem, der die Kindheit Christi von neuem ins Gedächtnis rief, denn durch seinen Diener wurde es ins Gedächtnis vieler zurück gebracht, in deren Herzen es in Vergessenheit geraten war.“
Damit unterstreicht die Geschichte den Sinn der jährlichen Weihnachtsfeier, die Auffrischung unserer Erinnerung, gleichsam die Wiederbelebung des schlafenden Kindes in der Krippe. Und dies geschieht, auch das kein Zufall, im Herzen als dem Zentrum des Menschen. Ins Gedächtnis rufen bedeutet nicht einfach, sich an eine Geschichte, an ein Ereignis zu erinnern im Sinne des Wissens, sondern Erinnerung im Herzen meint, sich der Bedeutung der erinnerten Geschichte gewahr zu werden. Bliebe es ein rein äußerliches Erinnern, bliebe das Kind ein schlafendes Kind oder wie in unserer Krippe eine Figur.
Wach und lebendig wird es erst, wenn im Herzen die Bedeutung dieses Kindes, seine Botschaft für mich deutlich wird.
Mir scheint, dass gerade heute im Jahr 2016 wo das Weihnachtsfest in Deutschland überschattet wird vom Terroranschlag in Berlin, diese Erinnerung im Herzen bedeutsam ist.
Was zeigt denn Gott mit seinem Handeln?
Er setzt ein Zeichen und wird als Kind geboren.
Hilflos und in Armut beginnt er sein Erlösungswerk.
Die ersten, die ihm begegnen sind nicht die Mächtigen, sondern arme Hirten.
Gott setzt der Gewalt die Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit eines Kindes entgegen, er begegnet der Macht mit Ohnmacht, der Rache mit Vergebung und dem Hass mit Barmherzigkeit.Er schickt eben nicht die himmlischen Streitkräfte, er kommt selbst und er kommt als Kind.
Und doch, das betont der Prophet Jesaja unüberhörbar, auf diesem Kind liegt die Hoffnung, die Herrschaft, es schafft Recht und Gerechtigkeit und sein Friede hat kein Ende.
Die dröhnenden Stiefel und die blutbefleckten Mäntel haben trotz allem keine Zukunft, sie werden ein Fraß des Feuers.
Am Ende siegt das Kind, das letzte Wort behält der sterbende Christus am Kreuz, die entscheidende Botschaft ist die des Lebens und nicht die des Todes.
Das ist die Hoffnung, die an Weihnachten wieder aufleuchtet und auch wenn es angesichts unserer Weltlage vage, vielleicht sogar utopisch scheint, haben wir am Ende keine andere Hoffnung als Jesaja, dass der leidenschaftliche Eifer des Herrn es vollbringen wird.
Und diese Hoffnung, und auch das ist doch verrückt, ruht auf einem Kind, einem der hilflosesten Geschöpfe der Schöpfung, die Hoffnung ruht auf den Schultern eines Neugeborenen.
Deutlicher könnte der Kontrast zu Gewalt und Terror, zu Machtdemonstration und militärischer Stärke nicht sein.
Und gerade deswegen, Schwestern und Brüder, gerade wegen dieses Kontrastes wirkt die Hoffnung gar nicht mehr so verrückt oder utopisch, denn was sollte am Ende wirklich den Frieden schaffen: Terror, Gewalt, Militär oder Ohnmacht, Vergebung, Barmherzigkeit?
Die Engel Gottes, die himmlischen Heerscharen, jedenfalls singen beim Kind in der Krippe: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“
Möge dieses Kind wieder erwachen und lebendig werden in unseren Herzen, damit der Friede eine Chance hat. AMEN
Pater Michael Plattig OCarm